Interview

Flexibilität erleichtert die Entwicklung und Integration fortschrittlicher Robotiklösungen

Prof. Dr. Michael Beetz, renommierter Experte für die planbasierte Steuerung von Robotern, die Wissensverarbeitung und -repräsentation, das integrierte Robotiklernen und die kognitionsbasierte Wahrnehmung, wird zukünftig das fortiss Kompetenzfeld "Platform Engineering" als Research Fellow unterstützen. Im Interview berichtet er über seine bisherigen Projekte an der Universität Bremen und die Zusammenarbeit mit fortiss in den Themenbereichen Platform Engineering, Wissensrepräsentation und Accountability Design.

Sie wurden kürzlich als Research Fellow bei fortiss ernannt. Hier werden Sie das Institut unter anderem im Bereich der wissensbasierten Systeme unterstützen. Können Sie uns etwas über Ihre Vision und Ihre Ziele in dieser Position erzählen?

Meine Forschung am Institut für Künstliche Intelligenz (IAI) an der Universität Bremen konzentriert sich auf wissensbasierte Systeme, die in der Robotik eingesetzt werden können. Meine Vision beinhaltet die Realisierung von Robotern, die genau wissen, was sie tun, warum sie es tun und wie sie es tun. Dies wird ihnen ermöglichen, die Folgen ihrer Handlungen vorherzusagen und ihr Vorgehen selbstständig anzupassen, um unerwünschte Ergebnisse zu vermeiden. Die Roboter werden dadurch autonomer und intelligenter. Sie sind in der Lage, in komplexen, unbekannten Umgebungen effektiv zu agieren.

Welche Erfahrungen haben Sie bereits in der Zusammenarbeit mit fortiss gemacht und welche Stärken sehen Sie im Institut?

Das IAI und fortiss haben bereits bei der Entwicklung der Knowledge4Retail-Plattform für den Einzelhandel kooperiert. Die Plattform verbindet Online- und stationären Handel, unterstützt strategisches Marketing und ermöglicht digitale Lösungen für personalisierten Kundenservice. Auch in anderen Projekten habe ich bereits eng mit den fortiss-Kolleg*innen zusammengearbeitet, z.B. als ich Sprecher des Exzellenzclusters CoTeSys (Cognition for Technical Systems) an der TU München war. Im EU-Projekt RoboEarth haben wir gemeinsam an cloudbasierten Wissensdiensten für die Robotik geforscht.

Die Stärken von fortiss liegen in der engen Vernetzung von Forschung und Praxis sowie in der kollaborativen Arbeitsweise innerhalb und außerhalb des Instituts. Besonders beeindruckt bin ich von der Fähigkeit des Instituts, Forschungsergebnisse effektiv in die Industrie zu transferieren.

Ihre Forschung am Institut für IAI konzentriert sich auf KI-basierte Kontrollmethoden für Roboter, insbesondere im Hinblick auf alltägliche Manipulationsaufgaben. Wie sehen Sie die Übertragung dieser Forschungsergebnisse auf den Bereich des Platform Engineerings bei fortiss?

Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf Roboteraufgaben in Alltagsszenarien, die oft vage formuliert sind. Das heißt, sie werden umgangssprachlich geäußert und erfordern sehr viel Hintergrundwissen, das für uns Menschen selbstverständlich ist, über das Roboter jedoch nicht ohne Weiteres verfügen. Dies wird dann relevant, wenn die Industrieroboter ihre zugewiesenen Arbeitsplätze verlassen und in den Produktionsstätten direkte Arbeitskollegen der Menschen werden.

Das Platform Engineering, das fortiss vorantreibt, soll insbesondere Hightech-Unternehmen ermöglichen, innovative Lösungen effizienter zu entwickeln und umzusetzen. Der Transfer meiner Forschungsergebnisse kann dazu beitragen, flexiblere und anpassungsfähigere Plattformen zu entwickeln, die auf unterschiedliche Anforderungen und Umgebungen zugeschnitten sind. Diese Flexibilität erleichtert die Entwicklung und Integration fortschrittlicher Robotiklösungen. Die Hürden für deren Einsatz in Unternehmen werden dadurch deutlich reduziert.

Als Koordinator des deutschen Sonderforschungsbereichs EASE (Everyday Activity Science and Engineering) beschäftigen Sie sich intensiv damit, Robotern menschenähnliche Fähigkeiten zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben zu verleihen. Welche Rolle spielt diese Forschung bei der Entwicklung zukünftiger Plattformen und Technologien?

Im Sonderforschungsbereich EASE (Everyday Activity Science and Engineering) erforschen wir, wie alltägliche Aufgaben von Menschen ausgeführt werden, und entwickeln auf dieser Grundlage die notwendigen Fähigkeiten in Robotern, damit sie diese Aufgaben ebenfalls effizient erledigen können. Dazu analysieren und modellieren wir die kognitiven Grundlagen des menschlichen Handelns, um sie in KI-Systemen nachzubilden. Auf diese Weise können wir Roboter entwickeln, die eine breite Palette von Aufgaben in verschiedenen Umgebungen ausführen können – von häuslichen Umgebungen bis hin zu industriellen Anwendungen.

Durch die Entwicklung von Robotern mit kognitiven Fähigkeiten ebnen wir den Weg für die Schaffung vielseitiger und autonomer Roboterplattformen. Diese Plattformen müssen ihre Fähigkeiten und ihre Autonomie verbessern, um komplexen Herausforderungen gerecht zu werden. Unsere Vision ist es, diese Anforderungen besser aufeinander abzustimmen, damit Robotersysteme sich an unterschiedliche und dynamische Umgebungen anpassen und sich dort in der Praxis bewähren können.

Roboter, die über ein besseres Verständnis ihrer Aufgaben und bessere Umsetzungsfähigkeiten verfügen, können zu bedeutenden Innovationen in verschiedenen Bereichen führen. Im Gesundheitswesen könnten sie beispielsweise bei der Patientenpflege und bei Rehabilitationsübungen helfen. In der Fertigung könnten sie komplexe Montageaufgaben übernehmen. Letztlich zielt unsere Forschung darauf ab, eine Grundlage für Roboter zu schaffen, die nicht nur Werkzeuge sind, sondern kompetente Partner des Menschen, sodass sie die Lebensqualität und Produktivität erheblich verbessern.

Ihre Arbeit an openEASE zielt darauf ab, die Interoperabilität in der Robotik zu verbessern und die Hürden für die Roboterprogrammierung zu senken. Wie könnten diese Bemühungen die Entwicklung von Plattformen für softwareintensive Systeme bei fortiss beeinflussen?

openEASE dient als offener Wissensdienst, der Umgebungsmodelle und Robotermodelle zusammen mit umfassenden Wissensdatenbanken bereitstellt. Es ist ein Bestandteil des offenen Forschungsportfolios in Bremen, das noch zahlreiche weitere Angebote umfasst. Wir finden es sehr wichtig, Forschungswerkzeuge offen zugänglich zu machen. Sehr großes Potenzial sehen wir in unserem Virtuellen Forschungsgebäude, das nicht nur unsere eigenen Angebote leicht und übersichtlich zugänglich macht, sondern auch die von anderen Forschungseinrichtungen. Dort machen wir beispielsweise unsere Robotiklabore online verfügbar, sodass Wissenschaftlerinnen und Entwicklerinnen weltweit Zugang zu unseren Robotern und Umgebungen haben. Ihre Ergebnisse können sie dann wiederum der gesamten Forschungscommunity zur Verfügung stellen.

Durch die Förderung der offenen Zusammenarbeit und der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen verbessert openEASE unsere Möglichkeiten, die kognitive Robotik voranzutreiben und intelligentere, leistungsfähigere Systeme zu entwickeln. Das IAI gehört aufgrund dieser umfassenden Expertise auch zu den Koordinatoren des europäischen Robotik- und KI-Netzwerks euROBIN, in dem sich führende Forschungseinrichtungen und Unternehmen zusammengeschlossen haben.

Mit unseren Aktivitäten können wir die Entwicklung von Plattformen für softwareintensive Systeme bei fortiss erheblich unterstützen, indem wir den Zugang zu nützlichen Werkzeugen erleichtern und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren fördern.

Sie haben den ERC Advanced Grant der EU letztes Jahr erhalten, um die Grundlagenforschung im Bereich des vorausschauenden Handelns zu unterstützen. Können Sie uns mehr über dieses Projekt und seine potenzielle Bedeutung für die zukünftige Entwicklung von KI und Robotik erzählen?

In dem vom European Research Council (ERC) finanzierten Advanced Grant „FAME“ (Future-oriented Cognitive Action Modelling Engine) konzentriert sich unsere Arbeit auf das Verständnis und die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten, die für Roboter notwendig sind, um die Ergebnisse ihrer Handlungen absehen zu können. Die ERC-Förderung unterstützt sowohl die Grundlagenforschung als auch die angewandte Forschung und den Innovationstransfer. Der Grant wird unser Verständnis dafür vertiefen, wie Roboter geplante Tätigkeiten intern darstellen und in die Praxis umsetzen können. Diese vorausschauenden Fähigkeiten werden es den Robotern ermöglichen, komplexere Aufgaben in unbekannten Umgebungen auszuführen.

Ein Schlüsselaspekt dieser Forschung ist die Integration mit der Grundlagenforschung im Sonderforschungsbereich EASE. Hier untersuchen wir, wie Roboter interne Simulationen nutzen können, um ihre Umgebung und ihre Handlungen zu visualisieren und zu verstehen. Unsere FAME-Roboter verfügen beispielsweise über ein Game-Engine-System, das es ihnen ermöglicht, ihre Umgebung zu simulieren und ihre Aktionen entsprechend zu planen. Dank dieser Fähigkeit können sie potenzielle Pläne vor ihrem „inneren Auge“ sehen, die Auswirkungen ihrer Handlungen verstehen und ihr Verhalten auf der Grundlage dieser Erkenntnisse verfeinern.

Die potenzielle Bedeutung dieser Forschung für die künftige Entwicklung von KI und Robotik ist immens. Indem wir die kognitiven und prädiktiven Fähigkeiten von Robotern verbessern, ebnen wir den Weg für autonomere, intelligentere und anpassungsfähigere Robotersysteme, die ihre eigenen Handlungen erklären können, statt als „Black Box“ zu agieren. Diese Fortschritte werden in verschiedenen Bereichen entscheidend sein, von der industriellen Automatisierung bis hin zum Gesundheitswesen, wo Roboter in dynamischen und unvorhersehbaren Umgebungen arbeiten müssen. Letztlich zielt unsere Arbeit darauf ab, Roboter zu entwickeln, die vorausschauend planen, fundierte Entscheidungen treffen und sich nahtlos in menschenzentrierte Umgebungen integrieren können, was ihren Nutzen und ihre Wirkung erheblich steigern wird.

Mit dem Projekt Knowledge4Retail, bei dem die Universität Bremen und fortiss Projektpartner waren, wollen Sie eine neue Generation von Informationssystemen für den Handel und dessen Lieferketten etablieren. Wie könnten diese Innovationen den Bereich des Platform Engineerings bei fortiss bereichern?

Das Projekt Knowledge4Retail hat sich zum Ziel gesetzt, den Einzelhandel durch den Einsatz von KI und Robotik zu stärken. Eine Schlüsselinnovation ist die Nutzung von realitätsgetreuen digitalen Zwillingen der Einzelhandelsgeschäfte. Diese virtuellen Modelle ermöglichen uns den Einsatz von Robotern und den Aufbau automatisierter Systeme zur Optimierung der Lagerhaltung und Bestandsverwaltung. Solche Anwendungen sind typisch für digitale Informationsplattformen und werden uns in die Lage versetzen, die Plattformentwicklung bei fortiss durch intelligentere, reaktionsschnellere und effizientere Systeme zu unterstützen.

Welche weiteren Projekte werden Sie bei fortiss begleiten oder vorantreiben?

Ein großes Projekt ist die KI.Fabrik Bayern, bei der ich große Synergieeffekte zwischen dem IAI und fortiss sehe. Ich kann mir zum Beispiel eine Kooperation vorstellen, um die KI.Fabrik in unserem Virtuellen Forschungsgebäude für Interessierte aus aller Welt zugänglich zu machen.

Außerdem wollen wir die ontologie- und wissensbasierte Modellierung von Roboterfunktionen in Industrieumgebungen integrieren. Dies ist für unsere Forschung entscheidend, weil es uns einen besseren Zugang zu Innovation und Transfer ermöglicht. Auf diese Weise verbessern wir die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen unserer Arbeit und stellen sicher, dass die neuesten Fortschritte in der KI und Robotik in verschiedenen Branchen effektiv und nutzbringend eingesetzt werden.

Ihre Vision ist es, KI-Methoden zu entwickeln, die Robotern ermöglichen, vage formulierte Alltagsaufgaben selbstständig zu erledigen. Welche Rolle spielt diese Vision bei der Gestaltung der Zukunft von Plattformen und Systemen?

Im Kontext der generativen KI erweitert die Fähigkeit, vage formulierte Aufgaben wie „Decke schon mal den Tisch!“ zu bewältigen, den Anwendungsbereich der KI erheblich. Sie stellt jedoch auch eine wissenschaftliche Herausforderung dar, weil die KI oft mit Wahrscheinlichkeiten auf der Basis ihres vorhandenen Wissens rechnet, ohne dass die Genauigkeit gewährleistet ist. Daher ist es unerlässlich, generative Technologien mit wissensbasierten Systemen zu verknüpfen, um die KI transparenter und vertrauenswürdiger zu machen. Diese Integration wird dazu beitragen, dass die Entscheidungen und Handlungen der KI verständlich und zuverlässig sind. Für die Entwicklung künftiger Plattformen und Systeme ist dies von grundlegender Bedeutung.

fortiss ist ein anwendungsnahes Forschungsinstitut und damit eine Brücke zwischen Wissenschaft und Industrie. Gibt es weitere Transferangebote, die Sie mit fortiss konkret für Unternehmen entwickeln wollen?

Unsere Forschung ist sehr anwendungsorientiert und basiert auf den Prinzipien des „Open Research“, um Kollaborationen zu erleichtern. Beispiele dafür sind das bereits erwähnte Projekt Knowledge4Retail, das mit mehreren Wissenschafts- und Transferpreisen ausgezeichnet wurde, sowie dessen Spin-off Ubica Robotics, das Roboter für den Einzelhandel anbietet. Wir kooperieren auch ganz konkret mit Unternehmen, um Steuerungsprogramme für die Wissensverarbeitung in Robotern zu implementieren. Der Input durch fortiss ermöglicht es uns, diese Programme zu verbessern und sie für industrielle Anwendungen robuster und nützlicher zu machen. Dieser Ansatz wird Unternehmen bei der Integration fortschrittlicher KI- und Robotiktechnologien unterstützen, Innovationen vorantreiben und die betriebliche Effizienz steigern.

© Matej Meza, Ana Pabon / Universität Bremen
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