Interview

Sichere Software als Schlüssel zur Mobilität von morgen

Die Automobilbranche steht vor einer der größten technologischen Transformationen ihrer Geschichte: Software wird zur zentralen Innovationskraft moderner Fahrzeuge. Beispielsweise erfordert die Entwicklung autonomer Fahrfunktionen nicht nur hochmoderne KI-Algorithmen, sondern auch sichere, zuverlässige und skalierbare Softwarearchitekturen. Doch welche Herausforderungen müssen gemeistert werden, um diese Technologien auf die Straße zu bringen? Welche Ansätze treiben die Sicherheit und Zuverlässigkeit voran? Wie lassen sich Softwarevarianten effizient verwalten? Und welche Methoden sorgen für die Einhaltung höchster Industriestandards?

In diesem Interview sprechen wir mit Simon Barner und Andreas Bayha, den Kompetenzfeldleitern im Model-based Systems Engineering bei fortiss über die Zukunft autonomer Fahrfunktionen. Sie geben aufschlussreiche Einblicke in aktuelle Entwicklungen, innovative Lösungen und die entscheidende Rolle der Forschung für die intelligente Mobilität von morgen.

Simon Barner und Andreas Bayha
fortiss Wissenschaftler Simon Barner und Andreas Bayha im Gespräch über die Zukunft sicherer Fahrzeugsoftware.

Die Automobilindustrie durchläuft tiefgreifende Veränderungen, insbesondere rund um das Thema Software-Defined Vehicle. Wie kann die Forschung hier unterstützen?

Simon Barner: Die Forschung spielt eine zentrale Rolle, um die Entwicklung sicherer, intelligenter, zuverlässiger und leistungsstarker Fahrzeugsoftware zu beschleunigen. Besonders Investitionen in Softwarearchitekturen und fortschrittliche Technologien wie Maschinelles Lernen und Generative AI sind hierbei unerlässlich. Zum einen um beispielsweise Navigation, Objekterkennung und Umgebungswahrnehmung zu optimieren, die essenziell für assistiertes und autonomes Fahren und schnelle Reaktionsfähigkeit in komplexen Situationen sind. Zum anderen, um innovative software-definierte Funktionen schneller und kostengünstiger auf die Straße zu bringen und so die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Die heutigen Innovationen sind gerade jetzt von zentraler Bedeutung, da sie den Grundstein für die Mobilität der nächsten Jahre bestimmen werden.

Andreas Bayha: Der Fokus der Investitionen sollte auf der Entwicklung robuster Architekturen liegen, die eine stabile Grundlage für innovative Funktionen wie z.B. teilautonome Fahrerassistenzsysteme bilden. Fundiertes Fachwissen und ein ganzheitlicher und umfassender Ansatz im gesamten Softwarelebenszyklus – von der Anforderungsanalyse und dem Entwurf bis hin zur Implementierung, Integration und Absicherung – ist für die Einhaltung der strengen Sicherheitsstandards im Automobilbereich erforderlich.


Welche wesentlichen Herausforderungen sehen Sie bei der Entwicklung der angesprochenen teilautonomen Funktionen und welche Lösungen gewinnen hier aktuell an Einfluss?

Andreas Bayha: Die Entwicklung von teilautonomen Funktionen, beispielsweise KI-gestützten Fahrerassistenzsystemen, birgt mehrere große Herausforderungen. Eine der größten besteht darin, die Genauigkeit von KI-Algorithmen in komplexen und unvorhersehbaren Verkehrsszenarien sicherzustellen, da diese Systeme extrem schnell und präzise reagieren müssen, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Weitere zentrale Aufgaben sind die Integration verschiedener Sensortechnologien und die Aufrechterhaltung eines fehlerfreien Betriebs unter wechselnden realen Bedingungen, wie z.B. Wetterumschwüngen oder starkem Verkehrsaufkommen.
Hier sind gezielte Lösungen durch Spitzenforschung in den Bereichen KI und Maschinelles Lernen gefragt. Durch die Entwicklung fortschrittlicher Algorithmen, die Daten in Echtzeit verarbeiten können, trägt fortiss dazu bei, die Entscheidungsgenauigkeit und Effizienz von KI-Komponenten zu verbessern. Unsere Forschung konzentriert sich dabei insbesondere auch auf deren Vertrauenswürdigkeit, Robustheit und Zuverlässigkeit.

Simon Barner: Ein weiteres Augenmerk liegt auf der sicheren, robusten und nahtlosen Integration von Komponenten und Subsystemen in Fahrzeugarchitekturen. Wichtig ist dabei, dass architekturelle Entscheidungen möglichst früh im Entwicklungsprozess analysiert werden, da sie einen großen Einfluss auf die Güte der Lösung haben (z.B. Reaktionszeiten) aber auch die Entwicklungs- und Herstellungskosten haben. Mit Hilfe automatischer Modellanalysen, u.a. auf der Basis formaler Methoden, bewerten wir kritische Aspekte wie Hardware/Software-Zuordnung, Redundanz und Skalierbarkeit des Systems bereits in einem frühen Stadium des Entwurfsprozesses. Dies hilft, die Leistung zu optimieren, die Kosten zu senken und die Sicherheitszertifizierung zu unterstützen. Auf Simulation und Fehlerinjektion basierende Lösungen erlauben es uns, das dynamische Verhalten des Systems zu untersuchen, so dass potenzielle Probleme bereits in den frühen Entwurfsphasen erkannt, analysiert und behoben werden können. 
Auf der Komponentenebene arbeiten wir zudem auch an der Verbesserung der Objekterkennung und Umgebungswahrnehmung, die beispielsweise für eine zuverlässige Trajektorienplanung unerlässlich sind. Durch die Integration von Sensordaten in ein kohärentes Echtzeit-Umgebungsmodell und die Nutzung neuronaler Netze verbessern wir die Fähigkeit des Systems erheblich, seine Umgebung wahrzunehmen und darauf zu reagieren, erheblich. 


Die Softwareentwicklung ist derzeit einer der größten Kostentreiber in der Automobilbranche. Welche Rolle könnte das Variantenmanagement in diesem Zusammenhang spielen, um Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern? 

Andreas Bayha: Die Komplexität von Software-Defined Vehicles ist ein Faktor, der die Softwareentwicklungskosten im Automobilsektor in die Höhe treibt. Dabei leistet die die Variabilität einen wesentlichen Beitrag, die verschiedene Ursachen haben kann. Variabilität ergibt sich oftmals aus den Anforderungen des Marktes, z.B. die Anpassung von Software für bestimmte Länder und Zielmärkte, oder das Angebot konfigurierbarer Optionen für den Kunden. Andererseits wird Variabilität gezielt eingeführt, um Software wiederverwendbar zu machen – sei es für unterschiedliche Fahrzeugmodelle, Teilsysteme oder Anpassungen an die Fahrzeugplattform, etwa im Rahmen der Modellpflege oder aufgrund von Änderungen in der Lieferkette.
Das Variantenmanagement bietet hier eine systematische Möglichkeit, diese Komplexität zu bewältigen. Es hilft bei der Definition, Dokumentation und Kontrolle der Variabilität in allen Phasen der Entwicklung – von den Anforderungen und der Systemarchitektur bis hin zur Softwareimplementierung und den Tests. In der Praxis sollte hierbei mit passenden Tools und Techniken für Variantenmanagement sichergestellt werden, dass die Konfigurationen konsistent sind und beherrschbar bleiben.

Simon Barner: Bei fortiss haben wir automatisierte Lösungen zur effizienten Analyse der Variabilität entwickelt, die eine frühzeitige Erkennung von variantenspezifischen Fehlern ermöglichen, die andernfalls verborgen bleiben könnten. Durch die frühzeitige Behebung dieser Probleme reduziert das Variantenmanagement die Komplexität, erhöht die Zuverlässigkeit und maximiert mit der Wiederverwendung von Software effizienten und kosten- und zeiteffektiven Entwicklungsprozess.


Wie unterstützt fortiss Unternehmen der Automobilindustrie bei der Entwicklung und Evaluierung fortschrittlicher Engineering-Methoden und Systemkomponenten? Welche Rolle spiel dabei Open-Source Software? 

Andreas Bayha: fortiss unterstützt Unternehmen der Automobilindustrie durch die Bereitstellung von Open-Source-Tools, die innovative Engineering-Ansätze für im Sinne von Standards wie ISO 26262 sicherheitskritische Anwendungen aufzeigen. Werkzeuge wie OpenSBT für das suchbasierte Testen von automatisierten Fahrsystemen und AutoFOCUS3 für die modellbasierte Entwicklung von eingebetteten Systemen sind open-source verfügbar. Dank der Lizensierung unter der Apache 2.0 Lizenz sind sie nicht nur anpassungsfähig, sondern können auch in einem industriellen Kontext als Grundlage für spezifische Tooling-Prototypen oder Machbarkeitsstudien verwendet werden. 

Simon Barner: Darüber hinaus bieten wir mit dem Mobility Lab in den fortiss Labs eine spezielle Testumgebung, in der Unternehmen Systemarchitekturen oder auch Entwicklungsumgebungen unter kontrollierten Bedingungen erproben und validieren können. Das Labor bietet hierbei eine auf Open-Source-Software basierte, herstellerunabhängige Infrastruktur für Tests und Fallstudien. Mit einem realen Forschungs- und Testfahrzeug sowie Indoor Miniaturfahrzeugen führen wir außerdem Tests zum kooperativen Fahren durch und setzen wissenschaftliche Erkenntnisse in direkter Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie um. Nicht zuletzt auf dieser Basis bieten wir Partnern aus der Industrie Schulungen, Beratung und kooperative Forschung an und unterstützen Automobilunternehmen dabei, Open-Source-Lösungen für Forschung, Prototyping und Tests effektiv zu nutzen.

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