Prof. Sofia ist neben ihren Forschungsarbeiten am fortiss Institut sowie am ISTAR des Instituto Universitário de Lisboa, auch als Gastprofessorin an der Universidade Lusófona de Humanidades e Tecnologias tätig, wo sie die Forschungseinheit COPELABS mit Fokus auf kognitiver und menschenzentrierter Forschung aufgebaut hat. Sie hat außerdem das Start-up Senception Lda gegründet, das sich auf Plattformen für private Kommunikation spezialisiert hat.
Die fortiss Wissenschaftlerin widmet sich in ihrer Forschung derzeit mit Netzwerkarchitekturen und -protokollen, dem Internet der Dinge (IoT), Edge Computing, In-Network Computing und Network Mining. Sie ist Autorin von über 60 Peer-Review-Veröffentlichungen und hat neun Patente angemeldet. Im Interview spricht Rute C. Sofia über ihre Rolle als Leiterin des fortiss Kompetenzfelds IIoT, die Arbeit an nutzerzentrierten Netzwerken sowie Mobile Pervasive Augmented Reality Systems (MPARS) und weshalb sie ACM Europe Councilor wurde.
Wofür sind Sie als Leiterin des Kompetenzfelds IIoT bei fortiss zuständig?
Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Entwicklung von Netzwerk- und Rechenarchitekturen, die IoT-Anwendungen der nächsten Generation unterstützen. Hierzu gehört die Integration von Augmented Reality (AR) und Roboterschwärmen insbesondere im industriellen Bereich. Wir arbeiten an intelligentem, dezentralisiertem Edge Computing, künftigen drahtlosen sowie informationszentrierten Netzwerken und dynamischer Container-Orchestrierung. Aus technischer Sicht dreht sich unsere Arbeit unter anderem um Netzwerkarchitekturen und -protokolle, maschinelles Lernen und semantische Technologien.
Als Leiterin des Kompetenzfelds IIoT bei fortiss trage ich dazu bei, die Grenzen des Internets und IoT neu zu definieren. Besonders spannend ist, dass hier akademische und industrielle Forschung zusammenlaufen. In dieser Rolle kann ich kreativ sein, mein Computerwissen anwenden und habe das Gefühl, etwas zu bewirken. Zu unserem internationalen Forschungsteam gehören sowohl Wissenschaftler*innen als auch Studierende im Bachelor oder Master sowie Doktorand*innen. Darüber hinaus kooperieren wir mit anderen Forscher*innen aus verschiedenen fortiss-Kompetenzfeldern, was die interdisziplinäre Zusammenarbeit anregt. Mit Kolleg*innen aus Europa, Nord- und Südamerika und Asien widmen wir uns auf internationaler Ebene Themen im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse wie Drahtlosverbindungen, 5G/6G und Edge Computing. Auch bei der Aus- und Weiterbildung in der Computerwissenschaft arbeiten wir zusammen.
Im Jahr 2016 erschien der von Ihnen mitverfasste Artikel „A Proposal for Dynamic Frequency Sharing in Wireless Networks“ in der Fachzeitschrift „Transactions on Networking“, die gemeinsam von IEEE und ACM herausgegeben wird. Darin befassen Sie sich mit dem Thema dynamische gemeinsame Frequenznutzung, insbesondere mit nutzerzentrierten Netzwerken. Was hat es damit auf sich und wie sieht es heute mit Nutzerzentrierung bei Netzwerken aus?
Sie nennen hier ein hervorragendes Beispiel für ein Forschungspaper über Netzwerke, das in akademischer Umgebung, aber mit praktischer Anwendung entstanden ist. Seit 2008 forsche ich an nutzerzentrierten bzw. sogenannten User-provided Netzwerken. Das sind Netzwerkarchitekturen, in denen der Nutzer – Bürger oder Organisationen – sowohl als Kunde als auch als Anbieter von Internetdiensten fungiert.
Heute bilden Ansätze wie Nutzerzentrierung oder Human-in-the-Loop die Grundlage künftiger 6G-Lösungen, doch 2008 waren wir gerade einmal bei 2G und in der Entwicklung zu 3G. Das Paper beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, wie sich das Nutzerverhalten und entsprechende Schlussfolgerungen in die Netzwerkschichten integrieren lassen, um die Funktionsweise des Netzes und die bereitgestellten Internetdienste zu verbessern.
Dabei erforschten wir theoretisch bereits fortgeschrittene Konzepte, um die MAC-Schicht im OSI-Modell zu verbessern und im nachgelagerten Abschnitt für Ausgleich zu sorgen, wenn mehrere Instanzen gleichzeitig auf das drahtlose Übertragungsmedium zugreifen – ohne dabei die Hardware anzufassen. Diese Forschung mündete in einem europäischen Patent sowie der Entwicklung der Open-Source-Software (OSI-MAC-Schicht).
Sie haben kürzlich auch an einer anderen Veröffentlichung über MPARS und die Rolle von Nutzerpräferenzen bei der wahrgenommenen Qualität von Outdoor-Anwendungen mitgewirkt, „Mobile Pervasive Augmented Reality Systems—MPARS: The Role of User Preferences in the Perceived Quality of Experience in Outdoor Applications“. Das Paper beschäftigt sich damit, wie eben solche Präferenzen die Durchgängigkeit mobiler AR-Systeme beeinflussen. Welche Kernerkenntnisse haben Sie hier gezogen und welche Chancen sehen Sie für mobile AR-Systeme in naher Zukunft?
Auch hier dreht sich alles um den nutzerzentrierten Ansatz, bei dem Technologie aus einer nutzerzentrierten Perspektive betrachtet und entwickelt wird. Sie wird nicht einfach für die Nutzer*innen vorkonfiguriert, sondern die Nutzerpräferenzen geben den Takt vor und steuern sie. Das Paper konzentriert sich auf eine neue Generation softwarebasierter AR-Systeme, sogenannter MPARS.
Nutzer*innen können diese MPARS in verschiedensten Umgebungen mit sich herumtragen – zu Hause, in der Arbeit oder draußen. Eine meiner Studierenden arbeitet daran, wie das MPARS dem Nutzer Informationen in Echtzeit zur Verfügung stellen kann und dabei noch die jeweiligen Präferenzen berücksichtigt. Dabei soll der spezifische Nutzungskontext nachvollzogen werden, um einen Informations-Overload zu vermeiden.
Augmented und Virtual Reality gehören zu den wichtigsten modernen IoT-Technologien. Unser fortiss-Team arbeitet an neuen holografischen AR-Konzepten für den Einsatz in menschenzentrierten Szenarien wie im Gesundheitswesen, der Fertigung oder dem Entertainment. Dabei gehen wir technologisch interdisziplinär vor. So berücksichtigen wir beispielsweise Nutzerverhalten und entsprechende Schlussfolgerungen, Situationsbewusstsein, das persönliche Bewusstsein und Konnektivitätsfaktoren wie Verbindungsabbrüche und die Unterstützung von Device-to-Device-Kommunikation.
Was hat Sie dazu bewogen, Councilor im ACM Europe Council zu werden?
Ich bin der ACM schon seit Langem verbunden: Während meiner Promotion in den USA war ich zunächst Gastwissenschaftlerin, später wurde ich Vollmitglied. Den ersten Kontakt mit der ACM und ihren Aktivitäten in den USA stellte mein damaliger Doktorvater und Mentor in der Promotionsphase her. Das war etwa 2000, als die ACM in Europa noch nicht so stark aufgestellt war wie heute. Als Doktorandin eröffnete mir die ACM neue Forschungshorizonte und -wege.
Ich bin davon überzeugt, dass freiwilliges Engagement einer der Grundpfeiler jeder Wissenschaftskarriere ist. Deshalb habe ich mich entschieden, Councilor zu werden. In der gesamten Forschungsgemeinde und insbesondere im Bereich Internet hat vor allem freiwilliges Engagement herausragende technologische und politische Entwicklungen hervorgebracht.
Ich würde die ACM in Europa gerne bekannter machen und ausbauen. Besonders hoffe ich, dass der Europe Council mehr junge Forscher*innen und Studierende für sich gewinnt. Und ich hoffe auch, dass er sich dem Thema Geschlechtergleichstellung widmet und europaweit weiter zu Aus- und Weiterbildung in der Computerwissenschaft beiträgt.